Altern (39)


Zeitverständnis und Alter

Meine Zeit steht in deinen Händen, singen wir im Gottesdienst.  Die Lebenszeit von Menschen ist keine „Eigenzeit“, sie ist  nicht unbegrenzt verfügbar. Sie ist von Gott geschenkt.  Ob und wie Zeit überhaupt verstanden werden kann, wird je mehr wir über die Quantenphysik und die Hirnforschung wissen, umso schwieriger.

Im Alten Testament wird die Zeit nicht als messbare, quantifizierbare Größe verstanden. Das Wesen der Zeit ist die Qualität des Inhalts, es gibt gute und böse Zeiten und alles hat seine Zeit (Koh. 3). Das Neue Testament kennt die erfüllte Zeit, das Kommen von Jesus, die Präsens des Reiches Gottes. Im Kairos, im besonderen Augenblick der Erfüllung, treffen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sie sind aufgelöst in einer neuen Dimension, dem Reich Gottes, das sich in Jesus zeigt.

Die Zeit des Lebens in Stunden, Tagen und Jahren zu messen ist eine Möglichkeit, Lebenszeit zu verstehen. Diese Art der Zeitmessung führt in die Hektik. Wir können aus dem alttestamentlichen und neutestamentlichen Zeitverständnis lernen,  Lebenszeit neu zu verstehen. Im Kreislauf des Kirchenjahres spiegelt sich das zyklische Zeitverständnis, Werden, Frühjahr  und Vergehen, Herbst wiederholen sich. Zeit wird nicht linear, von Anfang bis Ende gemessen, Zeit ist im Kreislauf der Wiederholung präsent.

Eine dichterische Annäherung an das Wesen der Zeit, die an Augustinus anknüpft, stammt von Michael Ende: „Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit.“

 Karl Barth versteht die Zeit inhaltlich definiert, ähnlich dem Verständnis im neuen Testament,  als Gefäß für das göttliche Heilshandeln.  Nicht die Länge eines Leben ist entscheiden, sondern, was wir mit dieser Zeit anfangen, die wir in unserem  Leben haben, und wie wir sie ausfüllen.

Jeder Mensch hat seine Lebenszeit von Gott bekommen, etwas flapsig formuliert, bedeutet das: „Machen wir was daraus!“


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