Der ungerechte Verwalter aus dem Lukasevangelium
Was ist der Sinn der Erzählung vom ungerechten Verwalter aus dem Lukasevangelium? Der Mann und sein Handeln werden hervorgehoben, weil er die Fähigkeit besitzt, auf eine bedrohliche Situation mit Entschlossenheit und Klugheit zu reagieren. Er lässt die Dinge nicht laufen, er tut etwas. Die endgültige Aufrichtung des Gottesreiches ist nahe. Es gilt, sich darauf einzustellen.
- Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz.
- Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.
- Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich, zu betteln.
- Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
- Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?
- Er sprach: Hundert Eimer Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.
- Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Sack Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
- Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
- Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.
Seit Monaten hantieren europäische Politiker mit Rettungsschirmen, Hebelwirkungen und Schuldenschnitten. Sie verschieben Staatsanleihen, kitten Rentensysteme und retten die Stabilität des Euro.
Die Aktienmärkte reagieren nervös, und in der Bevölkerung hat man den Eindruck, als wüchse Politikern und Managern die Krise über den Kopf. In diese finanzpolitische Aufregung scheint die Geschichte zu passen, die Jesus im 16. Kapitel des Lukasevangeliums erzählt.
Wie unterschiedlich wurde dieser Textabschnitt schon bezeichnet: „Vom Umgang mit dem Geld“, „der kluge oder der ungerechte Verwalter“ oder „gibt es ein wahres Leben im falschen?“ Ein schillernder, ein interpretationsoffener Text. Als Perikope hat er seinen Platz am so genannten Volkstrauertag, dem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres.
Formaler Zugang zum Text
Schaut man sich den Text genauer an, so wird deutlich, dass er in den urchristlichen Gemeinden „gelebt“ hat. Das bedeutet, er wurde bearbeitet und geschliffen wie ein Kieselstein.
Vers 1 engt den Zuhörerkreis auf die Jünger ein, so könnte man den Satz verstehen. Er ist aber wahrscheinlich von Lukas komponiert worden, um das Gleichnis an dieser Stelle einzufügen. Das ist bei anderen Texten auch so gehandhabt worden. Eine solche Rahmennotiz wird nötig, um die Geschichte mit Kommentierung in den Kontext des Evangeliums einzufügen.
Wer ist mit „Herr“ gemeint? Ist es Jesus oder der Chef des Verwalters? Oft wurde vorschnell diesem Gleichnis die Spitze genommen und es wurde versucht, das auf den ersten Blick sich darstellende Verständnis umzuinterpretieren, hier werde einer gelobt, der sich mit fremdem Geld ins rechte Licht rückt. Da sonst der Gutbesitzer auch im Gleichnis mit Herr bezeichnet wird, ist mit dieser Bezeichnung auch er und nicht der nachösterliche Jesus gemeint.
Warum sollte sich der Gutbesitzer nicht so unerwartet verhalten wie es auch der Vater des verlorenen Sohnes getan hat? Es ist ein unerwartetes überraschendes Verhalten, das Sitte und Konvention, die traditionelle Erwartung sprengt (H.D. Knigge, Gottesdienstpraxis, Exegesen).
Inhaltlicher und historischer Zugang
Jesus erzählt von einem reichem Mann und dem Verwalter seines Vermögens (1b-7). Der Verwalter hat die Aufgabe, dieses Vermögen zu vermehren, zum Beispiel durch Pachtverträge, Darlehensvergaben oder Handelsgeschäfte. Wer Land gepachtet hat, schuldet dem Besitzer einen Großteil der Ernte, was in schlechten Jahren verheerend sein konnte.
Erst spricht, so scheint es, der reiche Mann (Vers 2), dann spricht der Verwalter zu sich selbst (ab Vers 3) und dann spricht er zu den Schuldnern seines Herrn. Was kann aus der Geschichte gelernt werden? Schurkerei oder Klugheit?
Obwohl der Verwalter seinem Auftrag und seinem Arbeitgeber gegenüber untreu gehandelt hat, wird er gelobt. Er hat Initiative ergriffen und etwas zu seiner eigenen Rettung unternommen. Angesichts der kommenden Ereignisse ist voller Einsatz, Klugheit verlangt.
Vers 8 war wohl nicht der ursprüngliche Schluss des Gleichnisses. Es ist denkbar, dass er von Lukas stammt, um Missverständnisse zu vermeiden. Die Kinder des Lichts haben die Aufgabe zu erkennen, worauf es im Augenblick ankommt.
Die Verse 9 bis 13 stellen eine angehängte Sprüchesammlung Jesu dar. Vers 9 passt direkt zum Gleichnis. Wenn Zahlungsmittel, Geld, Mammon apriori ungerecht sind, erscheint das Verhalten des Verwalters in einem anderen Licht. Glaubt nicht, dass das Geld ewig herrscht (Lk 16,9), glaubt, dass das Reich Gottes herbeigekommen ist.
Da wirtschaftliches Handeln in der Regel ein Gefälle zu Ungerechtigkeit hat, muss es immer wieder ausgeglichen werden. Dafür gibt es das Sabbat-, das Erlassjahr. Es ist ein Schutz für die Schwächeren. Die Schulden, die die Bauern beim Verwalter haben, sind beträchtlich.
Als der Verwalter realisiert, dass er seinen Job verliert, kommt er auf die Idee, sich selbst auf Kosten seines Arbeitgebers zu sanieren: Er lässt die Schuldner antreten und gibt ihnen ihre Schuldscheine zurück. Er erhofft sich aufgrund der verminderten Schuldsumme, dass die Schuldner ihm im Gegenzug nach seiner Entlassung Gastrecht gewähren und ihn versorgen.
Die erlassene Menge, so wurde berechnet, entspricht dem im Vertrag versteckten Zins. Der Verwalter hat dann die (nach der Thora verbotene) Zinszahlung ausgesetzt. Jesus nennt das, „sich Freunde machen“.
Es geht hier um die Alternative Gott oder Mammon. Und gerade im Blick auf den Verwalter sagt er: Niemand kann zwei Herren dienen. Jesus sieht beim Verwalter die einzige Treue, die wirklich zählt: die Treue zur Thora und zu Gott.
Allerdings macht der Verwalter den Erlass nicht aus Gerechtigkeitsgefühl oder aufgrund seiner sozialen Ader. Er tut es in erster Linie für sich selbst, um seiner Rettung willen.
Interpretationen
Die Straftat des Verwalters ist nicht zu unterschatzen: Urkundenfälschung und Untreue. Ulrich Wilckens schreibt: »Das Gleichnis ist unter allen sonstigen Gleichnissen Jesu eigenartig: Ein skandalöser Betrug wird zum Bild für die rechte Einstellung zum Gottesreich! (…) Der Herr lobt seinen Verwalter, statt ihn zu tadeln.“
Jörg Zink übersetzt Lk 16,8: „Als der Besitzer von der Sache erfuhr, imponierte ihm der Geschäftsführer, trotz aller Betrügereien und Schliche. Schliche. Er war klug! Er hatte seine letzte Chance genutzt.“
Der Kommentar in der »Jerusalemer Bibel« lautet: „Der Verwalter wird nicht wegen seines Betruges gelobt, sondern wegen seines Geschicks, sich aus einer verzweifelten Situation zu ziehen.“
Oder ist es ein Übersetzungsfehler von Lukas, der sich auf ein hebräisches Urevangelium bezieht? Und es könnte so heißen: Und der Herr verdammte den betrügerischen Verwalter, weil er hinterlistig gehandelt hatte.
Wilkens schreibt: „Schon früh hat man den Sinn des Gleichnisses nicht mehr verstanden und fügte so … Sprüche hinzu, die zu verlässlicher Treue im kleinen wie im großen mahnen.“
Tim Schramm und Kathrin Löwenstein nähern sich in ihrem Buch „Unmoralische Helden“ dem Gleichnis folgendermaßen: Sie halten Vers 9 für eine Interpretation eines urchristlichen Predigers. Denn die Erzählung lässt in keiner Weise erkennen, dass der Verwalter ein Vorbild an Freigebigkeit ist. Sein Handeln ist von durchweg egoistischen Motiven bestimmt. Er schmeichelt sich, will Vorsorge für sich auf Kosten seines Arbeitgebers treffen. In Vers 9 liegt der mehr oder weniger nicht geglückte Versuch vor, die Geschichte des Verwalters harmlos zu verstehen, seine Ehre zu retten und ihn angesichts des ungerechten Mammons zu einem Beispiel der Freigebigkeit zu machen.
… und heute?
Das Gleichnis vom Haushalter hat in der Urkirche gelebt, einen Wachstums- und Verstehensprozess durchlaufen. Was ist der Sinn der Erzählung? Das Lob für den Haushalter ist kein Lob für seine Ungerechtigkeit.
Der Mann und sein Handeln werden hervorgehoben, weil er die Fähigkeit besitzt, auf eine bedrohliche Situation mit Entschlossenheit und Klugheit zu reagieren. Er lässt die Dinge nicht laufen, er tut etwas. Die endgültige Aufrichtung des Gottesreiches ist nahe. Es gilt, sich darauf einzustellen.
Nur an einem Punkt will das Gleichnis übertragen werden. Weder die materiellen Güter, noch das betrügerische Handeln oder die Unmoral des Verwalters sind die Botschaft der Erzählung. Alle diese Elemente der Geschichte gehören in die Bildhälfte. In der Anwendung (Sachhälfte) soll nur die, zugegeben am unmoralischen Verhalten festgemachte, Klugheit übernommen werden. Das Gottesreich ist nahe, heißt die Botschaft für die Hörenden, erkennt die Zeichen richtig und handelt klug – darum geht es.
Das Gleichnis wird zur gemeindlichen Paränese, Ermahnung genutzt. Der eschatologische Hintergrund des Gleichnisses wurde ethisch-praktisch weiterverwendet.
Wenn man jetzt die Eingangsüberlegungen hernimmt: „In diese finanzpolitische Aufregung scheint die Geschichte zu passen, die Jesus im 16. Kapitel des Lukasevangeliums erzählt“, kann gesagt werden, dass die vordergründigen und durchaus schlüssigen Interpretationen einer biblischen Stelle eine ganz andere Gestalt angenommen haben. Ein Zeichen, wie biblisches Gut lebt und immer wieder interpretiert wird. Es geht nicht um das untreue Verhalten des Verwalters, er steht für Entschlossenheit und Klugheit angesichts sich völlig verändernder Verhältnisse, die mit dem Bild vom Kommen des Reiches Gottes ausgedrückt werden.