Der große Kirchenlehrer Augustin, 354 im Bereich des heutigen Algerien geboren, war der Sohn einer Christin und eines Heiden, der erst kurz vor seinem Tod getauft wurde. Er machte Karriere als Rhetoriklehrer am Kaiserhof in Mailand und genoss das weltliche Leben in vollen Zügen. Über 20 Jahre später geriet Augustin in eine intellektuelle, psychische und körperliche Krise, worauf er seinen Tätigkeit aufgab. Die Wende kam in Form eines Bekehrungserlebnisses. Infolgedessen beschloss er, auf Ehe, Geschlechtsverkehr und Beruf zu verzichten und ein mönchisches Leben führen. Er wollte nicht mehr, wie er selbst sagte, „leere Wortkunst“ seinen Studenten „verkaufen“. Er kehrte nach Hause zurück und wurde dort sehr schnell bekannt, was dazu führte, dass er zum Bischof gewählt wurde. Sein klösterliches Leben behielt er bei. So geradlinig sein Lebensweg aus der Außenperspektive erscheint, so zerrissen erlebte er selbst seinen inneren Werdegang. In seinen „Bekenntnissen“ schrieb er über seine inneren Wirren. In diesen Schriften schaffte er es kirchenpolitische Auseinandersetzungen mit seelsorglichen Themen zu verknüpfen. Sein Ziel war es die Menschen, die ihm anvertraut waren, wie ein Schiff durch starke Strömungen, durch die unterschiedliche Lebensfragen und die Anfechtung von anderen Gemeinschaften, wie Manichäer und Donatisten hindurch zu manövrieren. Die Manichäer hielten die materielle Welt und den menschlichen Leib für böse, und lehrten eine absolute Hinwendung zur jenseitigen Welt. Die Verbindung mit dem Staat sahen die Donatisten als Teufelswerk an, sie witterten Verrat an den Märtyrern und an der Sakramentsverwaltung. Die Themen von damals sind auch heute aktuell, wie die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche, die sich an der Kirchensteuer fest macht. Er machte Menschen stark in ihren Entscheidungen. Dadurch konnten sie den, für sie persönlich richtigen Weg gehen. Um das zu erreichen, war und ist wie auch heute noch, Bildung ein wichtiger Baustein. Seine Bücher hatten pädagogischen und edukativen Charakter und waren eine Form, wie wir heute sagen würden, von Bibliotherapie. Im Nachvollziehen der Fragen und Nöte, die Augustin niedergeschrieben hatte, kamen die Lesenden zu eigenen Einsichten und Erkenntnissen.
Durch das Lesen der von Augustin niedergeschriebenen Einsichten, Lebensfragen und -nöten gehen dem Interessierten Erkenntnisse für seine Probleme durch den Kopf und er wird befähigt, neue Perspektiven und Einsichten zu gewinnen. Auch wenn Augustin selbst geplagt war von Zweifeln und Resignation, so wurden seine Ängste von der Gewissheit überstrahlt, dass der Glaube, die Liebe und die Hoffnung die tragenden Säulen einer christlichen Existenz sind und das wollte er allen, die ähnlich wie er, immer wieder geplagt waren von Anfechtungen, weitergeben. Augustins Seelsorge durch seine schriftlichen „Bekenntnisse“ niedergelegt, kann als Vorläufer der Bibliotherapie verstanden werden. In der bibliotherapeutischen Arbeitsform kommen vielfältige Genres der Literatur (wie Lyrik, Drama), Reise-, Lebens- und Schicksalsberichte sowie Biographien zum Einsatz. Sie können die Identifikation und die Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen unterstützen. Der Therapeut wählt dabei die Literatur oft in Zusammenarbeit mit den Patienten aus. Zu den Zielen der Bibliotherapie gehört es, kognitive und emotionale Verarbeitungsprozesse bei den Lesenden zu unterstützen, Informationen bereitzustellen, die dazu beitragen, eigene Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern. Lektüre hilft also Einsicht in Probleme zu vermitteln, Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, Vergleiche mit anderen Menschen zu ermöglichen und Mut zur Veränderung machen. Augustin, den antik-philosophische Voraussetzungen prägten, beobachtete die Menschen und das menschliche Verhalten und war im Gespräch mit Gott. Dort entsprangen seine Einschätzungen seiner Unzulänglichkeiten ebenso wie die Einsicht, dass Gott ein Versöhnender ist. Von dieser Warte aus und der Reflektion seines eigenen Verhaltens konnte er zum Seelsorger für Viele werden. In ganz besonderem Maße was er Seelsorger für Seelsorger, also für seine klösterlichen Brüder. Seine klösterlichen Gemeinschaften bestanden aus Klerikern und Laien, was durchaus eine Aufwertung des Laientums bedeutete. In diesem Zusammenleben sollte jeder für jeden da sein, Trost und Hilfe spenden können. Die gegenseitige Rücksichtnahme, Zurechtweisung und Liebe bildeten das Rückgrat seiner Seelsorge. Er verstand Seelsorge nicht nur als Dienst am Individuum, sondern als Aufgabe an der Gemeinschaft, die zum Gemeindeaufbau beitrug.