Christian Scriver


In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges geboren, blieb das Leben von Christian Scriver (1629- 1693) leidvoll. Als sechstes und letztes Kind einer verarmten Kaufmannsfamilie in Rendsburg geboren, überlebte er trotz schwerster Krankheiten drei Frauen und 12 seiner 14 Kinder. Er verabschiedete sich am Sterbebett, indem ihm das Abendmahl mit der klein gewordenen Familie gereicht wurde, die aus seiner vierten Frau und seinen beiden Kindern bestand. Auf die Frage seiner Frau, ob er auch Jesus noch im Herzen habe, soll  er geantwortet haben: „Ja, ich schmecke und sehe, wie freundlich der Herr ist!“.

Geprägt durch die sinnenhafte Frömmigkeit seiner Mutter, die auf den Knien lag und laut für ihre Lieben betete, verband er diese Tiefe des Gebets mit der lutherischen Lehre seiner theologischen Professoren an der Universität zu Rostock. Schon bald nach Beginn seiner Predigttätigkeit wurde er gebeten, diese zu veröffentlichen, was zu einer zahlreichen Predigt- und Erbauungsliteratur führte. Diese Schriften wurden fleißig verbreitet und  gelesen. Angeregt durch das lebhafte Interesse schuf er eine bis dahin unbekannte Gattung von Andachten, die mit den heutigen kurzen und bildreichen, unterhaltsamen Rundfunkandachten zu vergleichen ist. Er nimmt einen zufälligen Anlass, deutet ihn theologisch und bündelte ihn im Gebet spirituell. „Gottholds Zufällige Andachten“ wurden in ca.  30 Auflagen bis ins 20. Jahrhundert aufgelegt und immer wieder nachgeahmt.

Seine Feinfühligkeit half ihm, zwischen Lutheranern und Reformierten im Kurfürstentum Brandenburg zu vermitteln, was ihm eine Beauftragung als Pfarrer an der Magdeburger Kirche einbrachte, wo er 23 Jahre die Verantwortung trug. Einen Ruf  des schwedischen Königshauses als Hofprediger in Stockholm zu wirken, konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr folgen. 1690 ging er als Oberhofprediger nach Quedlinburg zum weltlichen Damenstift. Auch dort hoffte man auf seine vermittelnde Art, denn schwärmerische Offenbarungen und sensationsträchtige  Phänomene verunsicherten die „normalsterblichen“ Christen. Er vertrat eine pragmatische, unterstützende Seelsorge, die direkte Hilfen und Trost ermöglichten. Er machte Mut zur Klage und auch dazu, diese zuzulassen.


Pfarrer und Pfarrerinnen wollen heutzutage genauso wie in früheren Zeiten die Menschen erreichen und ihre Sprache sprechen, Christan Scriver ist das in seiner Zeit in besonderer Weise gelungen. „Den Scriver muss man lesen“, so soll sich Rudolf Bohren geäußert haben. Er würdigte sein Werk als „Barocke Therapie“, in der Scriver „der Depression poetisch Sprache zu geben vermocht“.  „Gottholds Zufällige Andachten“ besitzen Ähnlichkeiten mit Rundfunkandachten, weil ihre Sprache von Bildern und anschaulichen und prägnanten Sätzen lebt. In einer dieser zufälligen Andachten beschrieb Scriver einen traurigen  Menschen, der auf einem Tisch ein Stückchen Kreide fand.  Selbstvergessen malte dieser wahllos Stiche und Kreise. Er sah auf das Gemalte und erkannte dahinter seinen Gemütszustand. „Die Gedanken und Sorgen laufen wunderlich durcheinander und sind dem Gesträuch auf dem Felde gleich, das ineinanderwächst und sich so durcheinander verwirrt, dass man nicht hindurchdringen kann.“ Das Gemalte machte ihm sein Inneres verständlich und anschaulich. Er kam zu dem Schluss, dass man sich in Sorgen wie in einer Dornenhecke verwickeln kann. Und dann fragte er: „Allein, was nützen unsere Sorgen? Und was richten wir mit unserer Bekümmernis aus?“ Es entsteht ein Irrgarten in den Gedanken, der so aussieht wie die Kreidestriche auf dem Tisch. Der Mensch vergisst Gottes Fürsorge, so lässt er seine Andacht ausklingen. Deshalb rät er alle Sorgen und allen Kummer auf Gott zu werfen. “Ich will beten und arbeiten; du (Gott) magst sorgen.“

In seinen anderen Werken zur Seelsorge prangerte er mit scharfem Verstand  die Erlösungsbedürftigkeit der ganzen Schöpfung an. Nach Kräften ist es die Aufgabe der Christen, Gutes und Heilsames zu wirken. Das ist eine wichtige Bestimmung, aber auch die Selbstsorge ist jedem Menschen von Gott ins Stammbuch notiert. Deshalb gehört das Klagen–dürfen zu den Möglichkeiten seiner pastoralen Begleitung. Srivers tragfähiges Seelsorgekonzept ist heilsam, weil es die Unvollkommenheit von allem Irdischen kennt. Gerade deshalb kann er das Verantwortung-tragen anmahnen, wobei Verantwortung für das eigene Selbst und das Haushalten mit  seinen Kräften schwärmerischer Überforderung Einhalt gebietet.


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