In Waldersbach im Elsaß berichtet ein kleines Museum eindrücklich vom Wirken Johann Friedrich Oberlins (1740-1826). Die Art und Weise, wie er pädagogisch tätig war, springt dort ins Auge: z.B. eine Pflanzenpresse, um Blumen zu trocknen und zu bestimmen, um Heilpflanzen zu erkennen und in weiteren Schritten, deren Wirkung zu erforschen und sie anwenden zu können. Eine lebenstaugliche, praktische Unterweisung pflegte er, denn er war ein Mensch, der die Not sah und sie dort bekämpfte, wo es am dringendsten war. Die Exponate zeigen, dass es Oberlin um praktische Bildung für die ihm anbefohlenen Menschen ging. Naturbeobachtungen und handwerkliches Können sollten schon die kleinsten Kinder erlernen. Sie wurden im Alter von zwei oder drei Jahren in Strickstuben aufgenommen und erlernten spielerisch, was zum Leben nötig war. Er, der vernachlässigte Jugendliche und Erwachsene angetroffen hatte, war gerührt von ihrer Not. An der Wurzel des Übels setzte er an, indem er begann, sich um die ganz kleinen Kinder zu kümmern. Er wollte sie früh von einem schädlichen Einfluss wegholen, in eine beschützte und behütende Gemeinschaft einbetten. Mit dieser Strickstuben-Einrichtung (kleine Schulen) schuf er die Idee der Kindertagesstätten. Die zusammengeholten Kinder waren in warmen Räumen untergebracht und erhielten Nahrung. Der wichtigste Ansatz zur nachhaltigen Verbesserung war Bildung, das war Oberlins Grundsatz und deshalb war der Tag mit diesen kleinen Kindern ausgefüllt mit Kleinkind gemäßem Lernen von alltagspraktischen Dingen.
Aus gebildetem Hause stammend, studierte er in seiner Heimatstadt Straßburg Theologie. Mit 27 Jahren kam er ins Steintal, einen kargen Landstrich am Fuße der Vogesen und trat die Nachfolge von Johann Georg Stuber, Pfarrer und Sozialreformer, an. Oberlin war ein „Allroundtalent“, verbesserte den Obstbau, ließ eine geeignetere Kartoffelsorte setzen, baute mit den Anwohnern gemeinsam Straßen und Brücken und predigte ihnen jeden Sonntag. Acht Schulen richtete er zum Teil auf eigene Kosten ein. Deutlich verbesserte sich die Lage in dieser armen Gegend, als es Oberlin gelang, einen Freund für seine Arbeit in Steintal zu interessieren. Dieser Industrielle und Menschenfreund siedelte Industriebetriebe, Webereien für Seidenbänder, in diesem Teil des Vogesentals an.
Oberlin und Scheppler
Oberlin, der Pfarrer und Reformer im Steintal am Fuße der Vogesen, hatte folgenden Erziehungsgrundsatz: „Erzieht eure Kinder ohne zu viel Strenge … mit andauernder zarter Güte, jedoch ohne Spott.“ Uns erscheint dieser Erziehungsstil heute selbstverständlich. Für viele der armen Menschen in den Vogesen, die tagtäglich um ihr Überleben kämpfen mussten, waren Kinder mehr Last als Lust. Sie mussten ernährt werden und die Zuwendung zu ihnen kam oft zu kurz. Lust auf Lernen wollte Oberlin den Kindern und den Erwachsenen machen. Es ging vor allem um das Lernen für das Leben. Schon die kleinen Kinder wurden unterrichtet. Sie kamen in Stuben um den Ofen zusammen, um Stricken und später vieles Anderes zu lernen und diese Räume wurden poêle à tricoter oder Strickstuben genannt.
Luise Scheppler, die Haushälterin im Pfarrhaus, kam aus einer sehr einfachen Bauersfamilie. Sie übernahm nach dem Tod von Oberlins Frau weitere Pflichten im Haus und in der Gemeinde. Ihre Aufgabe war es unter anderem, die Kleinkindereinrichtungen zu leiten. Ihre Mitwirkung in der Pädagogik der Kleinkinder sollte nicht vergessen werden. Mancherorts wird ihrer Leistung bis heute gedacht, z. B. wurden Kindertageseinrichtung nach ihr benannt. Auch sie hat ihre pädagogischen Grundlinien zu Papier gebracht. Eine hieß, dass den Jungen und den Mädchen das Stricken beigebracht werden soll. Jeder Tag begann mit Singen und Beten, der Tag wurde unter Gottes Wort gestellt. Der Glaube an Gott bedeutete, dass es in jeder kleinen Gruppe und Gemeinschaft wichtig war, auf den anderen zu achten und ihn bei seinen Fortschritten zu unterstützen.
Um die Erwachsenen zu fördern, gründete Oberlin landwirtschaftliche Vereine und führte moderne Saat- und Anbaumethoden ein. Durch sein sozialpädagogisches Wirken öffnete er auch Frauen einen Weg in die anerkannte Berufswelt.
Er, der die Französische Revolution miterlebte, glaubte als ein Mann der Aufklärung an das Gute und Erziehbare im Menschen. Ihm gelang, es Gegensätze in seinem Leben zu vereinen: Er war Pietist und Kind der Aufklärung, Mystiker und Mann der Tat zugleich. 59 Jahre wirkte er im Steintal und wurde nach seinem Tod von den Bewohnern zärtlich als Papa bezeichnet.