Einführung


Neu aufgebrochen ist die Frage nach der Seele angesichts neuerer Berichte von Nahtoderfahrungen, die vielfältig gelesen und diskutiert werden (Jörgen Bruhn, Blicke hinter den Horizont, Anita Moorjani, Heilung im Licht, Eben Alexander, Blick in die Ewigkeit).

Die Frage, die unter anderem dabei beschäftigt, lautet, gibt es eine unsterbliche Seele oder muss an der eher modernen theologischen Auffassung der Ganztodtheorie, die besagt, dass der gesamte Mensch stirbt, nichts von dem Alten bleibt, Gott aber Neues erschafft, festgehalten werden?

Die obengenannten Autoren, die Nahtoderlebnisse hatten oder sich damit beschäftigen, gehen davon aus, dass es etwas Unsterbliches im Menschen gibt, das im Leben untrennbar mit ihm verbunden ist und im Sterben in eine völlig andere Dimension übergeht.

Was ist die Seele? Eine Frage, die man vielleicht nicht stellen sollte, da eine eindeutige Beantwortung nicht möglich und die Vielfältigkeit der Antworten kaum vorstellbar ist und eine Annäherung sich nur in der Schwebe bleibend zeigt.

Um sich einer Vorstellung vom Begriff Seele anzunähern, sind die Schriften des Alten Testaments hilfreich. Nefesch, das Wort für Seele, ist der belebende Atem, die Lebenskraft, die Jahwe dem Menschen bei der Schöpfung einhaucht und den ganzen Menschen durchflutet. Auch Natur und Tier hat Seele bzw. ist Nefesch. Sie tritt nicht losgelöst vom Körper auf. Im Neuen Testament wird das alttestamentliche Verständnis von Seele vorausgesetzt, aber auch der griechisch beeinflusste Dualismus von Leib und Seele ist zu finden (Mt10,28). Der Leib kann getötet werden, aber der Seele kann man nichts anhaben.

Professor Markolf H. Niemz, der Medizintechnik und Physik an der Universität Heidelberg lehrt, vertritt die Auffassung, dass die Seele, das unsterbliche Ich, das Bewusstsein des Menschen auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird und nach dem Tod in einen lichtähnlichen Zustand über geht. Eine modere Auffassung von Seele. Die Frage entsteht, was unter Seelsorge verstanden wurde und wie sie heute zu verstehen ist?



Wir sprechen von „armen Seelen“, wenn wir jemandes Schicksal bedauern, wir zählen die Gemeindeglieder in „Seelen“, und benutzen im kirchlichen Kontext auch das Wort „Seelsorge“. Was ist damit gemeint, die Beichte, im evangelischen Bereich das geschwisterliche Gespräch unter vier Augen, wird auch im Bereich der Gemeindearbeit eher weniger nachgefragt, ist es der Geburtstagsbesuch, die Kontakte rund um Beerdigung etc., die kirchliche Beratungsarbeit?

So schillernd wie der Begriff Seele ist, so plural stellt sich der Begriff Seelsorge dar. Ist es nach Sokrates, die Sorge um die Seele oder geht es um den ganzen Menschen? Vielleicht kann das Verstehen des Begriffs Seelsorge über die Abgrenzung zur Psychotherapie erleichtert werden? Damit nähern wir uns einem modernen Seelsorgeverständnis, denn was Seelsorge ist, wurde zu jeder Zeit anders verstanden, das wird in den weiteren Artikeln, die folgen, zu lesen sein wird.

Der Seelsorge geht es um ein ganzheitliches Heilwerden, das nicht symptombezogen ist, wie im therapeutischen Kontext. Sie leistet anderes als Therapie weil sie auch geistliche Begleitung bietet, die die spirituelle Dimension und die Frage nach Gott nicht ausgeklammert. Es kann ein vereinbartes oder ein Gespräch so nebenbei sein, das Fragen nach Tiefe und Sinn des Lebens aufbrechen lassen. Wertschätzendes Zuhören, ermutigende Nachfragen, die verschütteten Ressourcen des Anderen sehen und der Glaube, dass in anderen Menschen selbst die Möglichkeiten zu Lösungen liegen ist eine heute angemessene seelsorgende Haltung. In der Psychotherapie geht es um Linderung oder Heilung von psychischen Störungen, in der Seelsorge geht es um die Fragen nach dem Sinn und dem Grund unseres Daseins.

Aktives Zuhören und offenes Nachfragen sind als Methode der Seelsorge auch der Psychotherapie nahe. Es gibt aber eine Reihe von „Arbeitsformen“, die nur die Seelsorge kennt, wie z.B. das Gebet, der Zuspruch von Vergebung, Bibellese, Trost und Segen.

Aus gesellschaftlicher Perspektive sind Psychotherapie und Seelsorge wichtig. Die Seelsorge unterstützt Menschen, ihr Verhältnis zu Gott zu klären. Studien in der USA haben gezeigt, dass Menschen, die Beziehung zu Gott haben, sich gesünder fühlen und länger leben. Seelsorge begleitet den Menschen auf seinem Weg zu Gott.



Der moderne Seelsorgebegriff, seine Nähe und Ferne zur Psychotherapie wurde beleuchtet. Seelsorgend einen Menschen begleiten, bedeutet, einen gemeinsamen Gesprächsweg zu gehen, in dem es um Annahme des persönlichen Schicksals, um Versöhnung und Sinn sowie Gottesbeziehung geht.

Ein Modell seelsorglicher Begleitung kann man in der Emmaus-Erzählung (Lk 23,13-35) finden, sie bietet Hilfe und Anregung für den Prozess der seelsorglichen Begleitung. Es geht um das Aufbrechen, sich auf den Weg machen. Die Emmaus-Geschichte beginnt, wo Menschen am Boden sind, sich einsam und alleine gelassen fühlen und sich in irgendeiner Form um Änderung bemühen, indem sie z. B. ein Gespräch suchen. Die Jünger sind in ihren Problemen gefangen, erkennen in dieser Phase keinen Sinn in der Situation, erkennen Jesus nicht. Sie sehen nur noch ihren Ausschnitt der Wirklichkeit. Innehalten und Abstand gewinnen, ist angesagt. Es scheint das Ende von allem zu sein, der Tiefpunkt. Die Jünger, wie auch belastete Menschen, sind in ihren Problemen gefangen, dass sie andere Dinge nicht mehr sehen können. Sie selbst stehen sich im Weg. Es bedarf eines fremden Begleiters (Lk 24, 28,29), um den Blick zu weiten, eines Begleiters, der einfach zuhört, neue Kontexte durch Verknüpfung mit Bekanntem und mit positiven Erfahrungen ermöglicht. Mit Blindheit sind wir in solchen Situationen oft geschlagen. Beide Gesprächspartner sind zunächst „unwissend“, es scheint keine Lösung zu geben, kein Rezept ist im Gepäck, beide suchen nach Lösungen und Perspektiven.

Dabei kann der Seelsorgende den Blick weiten, neue Zusammenhänge eröffnen, die zunächst außerhalb seiner Wahrnehmung liegen. Dem Sinn nahe kommen, ist dann möglich, wenn Vertrauen in den anderen wächst. Wir helfen den Menschen, sich selbst und ihre Geschichte zum Ausdruck zu bringen, mit Gelungenem und „Gebrochenem“. Gibt es ein Gefühl des „Getragen-Seins“? Beim Brotbrechen erinnern sie sich unbewusst an ihn, „war uns nicht zumute, als würde Feuer in unseren Herzen brennen, (LK 24, 31; 32)? Wie die Jünger einen „fremden“ Begleiter brauchen, um die Perspektive zu weiten, kann auch ein fremder Begleiter den Blick weiten.



Auf dem Weg nach Emmaus, zuerst alleine und verlassen, dann getröstet, begreifen die Jünger, dass es Jesus ist, der ihnen begegnet durch die Bezüge zu Bekanntem, wie das Brot Brechen und die Nähe. Da gab es immer wieder in meinem Leben etwas, das mich gehalten und gestärkt hat. Wenn sich dieses Gefühl im Leben eines Menschen einstellt, setzt das neue Perspektiven frei, die Energie kehrt zurück. Ein gelungenes Gespräch macht wieder handlungsfähig, der Mensch geht getröstet, das heißt ermutigt, auf die nächsten Schritte zu. Oft wird erst im Rückblick auf ein schwieriges Ereignis ein Sinn erkennbar. Die Situation wird nicht mehr nur als Zusammenbruch, sondern kann auch als Durchbruch oder bei den Jüngern als Neuanfang erlebt werden.

Was wir mit modernen Kategorien zu verstehen zu versuchen, den Begriff der Seelsorge, er wurde in der Bibel mit anderen Worten beschrieben. Vom Trösten ist die Rede (1. Thess 4,18). Der neutestamentliche Trost ist der Verweis auf die Kraft der Worte, die von Jesus und dem Heiligen Geist berichten. An ihnen kann man sich festhalten und festmachen. Aber auch Ermahnung (2.  Kor 13,11; 1.Thess 2,12) ist im Seelsorgeverständnis enthalten. Seelsorge und Ermahnung sind für meine modernen Ohren schwer zusammen zu bekommen. Ermahnung meint, jemanden voran im Glauben zu bringen, wie der Thessalonicherbrief schreibt, es wird zum Glauben ermutigt. Seelsorge im neutestamentlichen Sinn ist ganz in Glauben eingebettet und entspricht nicht dem individualistischen Verständnis von heute, dass der Einzelne die Ressourcen für die Bewältigung seiner schwierigen Situation in sich trägt und selbst bestimmt, wie lange er benötigt, um mit sich und der Welt wieder im Reinen zu sein.

Im Philipper 4, 3 ist von Beistehen die Rede. Dieses Wort trägt die größte Nähe des neutestamentlichen zum modernen Seelsorgeverständnis in sich. Beistehen, mit jemand Zeit verbringen, in dessen Nähe bleiben und zuhören, ist aktive Seelsorge. Da-bei, “bei“ jemand anderen sein und nicht in der eigenen Gedankenwelt gefangen verharren, ist das Geheimnis guter seelsorglicher Begleitung. Im 2. Kor 11,28 trägt der Briefschreiber Sorge für alle Gemeinden. Fürsorge, sich um jemanden sorgen, frühzeitig auch einmal einen Menschen ansprechen und ihm signalisieren, dass man sich Gedanken um den anderen macht, das ist christlicher Dienst.



In jedem Gottesdienst beten wie Psalmen im Wechsel und sie entfalten in Bildern und Worten ihre Kraft. Sie verleihen Menschen in schwierigen Situationen Worte, die sie selbst nicht finden, z. B. um zu Angst auszudrücken und zu klagen. „Ich versinke im tiefen Schlamm, wo kein Grund ist“ (PS 69,2). Das Gefühl verlassen zu sein drückt sich aus: „Ich rufe zu dir, doch du antwortest nicht.“ (Ps22,3) Not und Unglück bekommt Ausdruck, die überbordenden Gefühle haben Raum. Das ist der erste Schritt mit Leid und Bedrohung umzugehen. Aus hingeworfenen Sätzen werden Gespräche mit Gott. Vertrauen in die Wegbegleitung Gottes greift um sich und neue Worte werden geboren: „Du tröstest mich in Angst“ (Ps4,2), „Du bist bei mir“ (Ps 23,4). Tiefste Menschheitserfahrungen spiegeln sich in den Psalmen Christian Möller (Geschichte der Seelsorge) versteht die Psalmen als Sprache der Seele und als Gespräch mit der Seele. Bedrohungen, Ängste, Schuld alles hat seinen Platz in ihnen und sie lehren uns auf die „Seele“ zu hören, zu achten. „Was betrübt dich meine Seele und bist so unruhig in mir?“ (Ps 42,6;12) Genauso ist sie aber wieder zufrieden und mit sich im Reinen (Ps 116,7; Ps 62,6) bis hin zum Aufruf zum Lob: „Loben den Herrn, meine Seele.“(Ps 103,1,2). Viele Psalmen zeichnen den Weg eines Menschen durch die Tiefe des Leides hindurch zu neuen Lebensmöglichkeiten. Weil sie Worte der Klage verleihen und Trost finden lassen, sind sie seelsorgenden Texte, die im Leid weiterhelfen.

Wie sich die eigenen Gefühle Luft machen, schildert folgende erlebte Situation. Eine Mitarbeiterin von mir erstellte ein Liedblatt mit dem Lied: „Du meine Seele singe…“.Also die lobende Seite der Seele war das Thema. Sie, die mitten in einer Trennung mit einem kleinen Kind zusammen lebte, hatte folgenden Text abgetippt: „Du meine Seele ringe..“, genau, das was sie gerade in ihrem Leben tat, mit allem, was in ihr war, um das Ringen, was sie für sich wollte. Ihr lag in diesem Augenblick ein Psalm näher, der der Klage Ausdruck gegeben hätte.

Die Tiefe der Gefühle zulassen und aussprechen, das vermitteln die Psalmen, so intensiv wie die schlechten Gefühle sein können, so explodierend können die Worte für Gefühle der Freude und des Lobes sein.


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