Eduard Thurneysen


Kerygmatische Seelsorge

Unter dem Begriff „Seelsorge als Verkündigung“ ist der 1888 in der Schweiz geborene Theologe Eduard Thurneysen (1888-1974) bekannt geworden. Seine Schriften gehörten zum Standardrepertoire der Ausbildung vieler Pfarrer und Pfarrerinnen. Er hat die Seelsorgelehre bis weit nach dem zweiten Weltkrieg  mitbestimmt.

Als Vertreter der Dialektischen Theologie und enger Freund Karl Barths kann sein Ansatz in der Seelsorge als Umsetzung der Dialektischen Theologie gelten: Der Mensch kann aus seiner von Schuld beladenen Existenz nur durch den Zuspruch Gottes befreit werden, den der Seelsorger stellvertretend erteilt. Für ihn war Seelsorge ein Spezialfall der Predigt. Menschliche Bemühungen müssen grundsätzlich scheitern. Die Psychologie wird als Hilfswissenschaft der Theologie definiert. Aufgabe des Seelsorgers ist es, seinen Schutzbefohlenen an einen Punkt zu führen, wo er aller Selbstrechtfertigungen entsagen kann und die Eigenbemühungen aufhören, denn das gilt als Gesetzesgerechtigkeit. Gott alleine gilt es, wirken zu lassen, da die Gerechtigkeit aus dem Evangelium kommt. Diese sogenannte Seelsorge von oben, ist oft kritisiert worden. Welche Rolle spielt der Hilfe und Trost suchende Mensch? Wie werden er und sein Anliegen wahrgenommen? Zeitweise wurde diese Seelsorgekonzept wie die dunkle Folie für die beratende und pastoralpsychologische Begleitung benutzt. In der praktischen Durchführung war Thurneysen, wie Zeitzeugen schilderten, sehr wohl annehmend und einfühlsam sowie auf eine gute Atmosphäre auch in seinem Amtszimmer bedacht. Er erwartete von jedem Seelsorger Zeitgenossenschaft und eine Kultur der Aufmerksamkeit dem Anderen gegenüber. Allerdings stand im Gespräch für ihn die Einbettung in das Gott- und Geistgeschehen auf jeden Fall im Mittelpunkt. Um Freiheit von falschen Zwängen und Ordnung im bedrängenden Chaos ging es ihm, letztendlich um die wirkliche Selbstfindung des Menschen. Seelsorge war für ihn „eine Ausrichtung des Worte Gottes in einer besonderen Gestalt.“ Wenn Menschen sich begegnen, wird „die Sprache des Wortes Gottes – nicht ihre eigene! – zum Raum, in dem sie einander begegnen und verstehen.“ Vielleicht sind einige Überlegungen Thurneysens neu zu beleben. Er räumt dem Geist den entscheidenden Platz in einem Zusammenkommen zweier Menschen ein, aus einem Dialog wird ein Trialog.


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