Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher


Mit den „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ wollte Friedrich Daniel Schleiermacher (1768-1834) ins Gespräch kommen und eröffnete damit eine neue Epoche der Seelsorge und der Theologie.

Als er 14 Jahre alt war, trat er in das Pädagogikum der  Herrnhuter Brüdergemeinde ein, um Theologie zu studieren. Sein persönlicher Durch- und Aufbruch kann mit dem Austritt aus dieser Einrichtung in Zusammenhang gebracht werden. Er verließ diese nach zwei Jahren, weil er den Eindruck hatte, dass seine Glaubenszweifel dort keinen Platz hätten und begann, gegen den Willen des Vaters, eines reformierten Predigers,  Theologie in Halle zu studieren. Für ihn waren seine Zweifel und die Unsicherheiten, die auch andere im Glauben empfanden, Zeichen theologischer Verantwortung und gelebter Frömmigkeit. Ein Grundstein seiner Seelsorgearbeit entwickelte sich in diesen jungen Jahren, nämlich Menschen in ihren „Glaubensskrupeln“ beizustehen und die geistige Freiheit der Gemeindeglieder zu erhöhen. Nach Abschluss des Studiums verschlug es ihn nach Berlin, wo er mit  der Romantik in Kontakt kam. Bei intensiver Teilnahme am geistigen und geselligen Austausch im Freundeskreis der Romantiker, war er theologisch aufmerksam geworden, er mischte sich in die dort vorherrschenden Diskussionen ein und mutete seinen Mitmenschen Einiges zu. Er knüpfte in seinen Reden nicht an die religiöse Stimmung an, vielmehr sprach er seine Adressaten auf ihre Verachtung gegenüber der geschichtlich Gestalt gewordenen und gelebten Religion an: „An nichts anders kann ich also das Interesse, welches ich von Euch fordere, anknüpfen, als an eure Verachtung selbst; ich will Euch nur auffordern, in dieser Verachtung recht gebildet und vollkommen zu sein.“ Dem Religionsverständnis seiner Zeit, das er aus Metaphysik und Moral „zusammengeschustert“ ansah, setzte er entgegen, dass Religion weder Denken noch Handeln ist, sondern Anschauung und Gefühl. Im Anschauen des Universums, durch Gottes Wirken in der Natur und in der persönlichen Lebensgeschichte wird der Mensch überrascht, beeindruckt und bewegt.  Der Universitätslehrer und Prediger Schleiermacher prägte Generationen unter anderem mit seinen Überlegungen zum Religionsbegriff.


In vielfacher Hinsicht wird Schleiermacher und sein Religionsverständnis heute  aufgegriffen.  Für ihn war Religion weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Im Anschauen des Universums, durch Gottes Wirken in der Natur und in der persönlichen Lebensgeschichte wird der Mensch überrascht, beeindruckt und bewegt. Sich berühren zu  lassen durch die Wahrnehmung der Schöpfung, das Erleben von Staunen wie zum Beispiel mit Kinder, gelten auch heute wieder als Eindrücke religiösen Empfindens. Denken, Handeln und Empfinden gehörte für Schleiermacher zusammen, und das wollte er seinen Zeitgenossen plausibel machen. Er zeigte ihnen die Notwendigkeit religiöser Besinnung aus der Situation des Gebildeten auf: Dem vernünftig Denkenden sollte gerade in seiner Vernunft die zentrale Bedeutung des Christentums nachgewiesen werden. Zu einer der grundlegenden Behauptungen Schleiermachers wurde daher, dass die Religiosität genauso zum Menschen gehöre, wie das (deduktive) Denken und das (moralische) Handeln und somit alle drei als gleichwertig zu betrachten seien.  Der Universitätslehrer und Pfarrer verstand Seelsorge als Hilfe, um jedem Gemeindeglied den Zugang zur Freiheit aus dem Glauben zu ermöglichen. In Briefen ist überliefert, dass er sich in jedem Einzelfall darum bemühte.  Im Schriftverkehr mit Friedrich Jacobi, Präsident der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, wird deutlich, dass Jakobi es mit sich nicht vereinbaren kann, dass er „mit dem Verstand ein Heide und mit dem Gefühl ein Christ“ sei. Diese für den Briefschreiber unvereinbaren Gegensätze sind für Schleiermacher zwei Pole der spannungsvollen Bewegung in der Fülle des Lebens. Sein Verstand solle annehmen, was das christliche Gefühl ihm dolmetsche, nämlich den Verstand über die Natur hinauszuführen. Schleiermacher versuchte, den Zugang zu den christlichen Quellen offen  zu halten, um daraus Leben zu ermöglichen und die rationale Reflexion der Welt zusammenzudenken. Er antwortete in einem Schreiben: „Aber Lieber! Es gibt ein unmittelbares Bewusstsein, dass es nur die beiden Brennpunkte meiner eigenen Ellipse sind, aus denen diese Schwankung hervorgeht, und ich habe in diesem Schweben die ganze Fülle meines irdischen Lebens.“

  

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