Martin Luther


Das Mittelalter versank und eine Zeit, die später als Neuzeit verstanden wird, dämmerte am Horizont. Andere Denkmuster und Gefühllagen zeichneten sich ab, die Individualität brach sich Bahn und ein modernes Menschenbild, geprägt vom Humanismus, veränderte Kirche und Gesellschaft. „Neue Technologien“ entwickelten sich, wie die Buchdruckerkunst, Johannes Gutenberg ist zu nennen. Die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen stieg enorm. Getoppt wurde dieser Rekord der damaligen Zeit in unserer Zeit durch die moderne Verbreitungs- und Informationstechnologie, den Email-Verkehr und die Nutzung sozialer Netzwerk, die sozusagen eine Direktübertragung allen Tuns ermöglicht haben. Amerika wurde entdeckt, das Zeitalter der Reformation begann. Martin Luther (10. November 1483 in Eisleben, gest. 18. Februar 1546) war einer von vielen, die in diese Zeiten bewegten Treibens ihren Weg finden mussten. Einer von vielen und doch ein ganz besonderer Mann, dieser Martin Luther, weil in seinem Leben der Umbruch, der sich in den Vorreformatoren angekündigt hatte, zum Durchbruch kam. Interessant in Bezug auf die Seelsorge ist, dass Martin Luthers Handeln aus zu tiefst seelsorgerlichen Aspekten verstanden werden kann. Was bewegte ihn zum Handeln? Die Sorge um die Seele deren, die dem Ablasshandeln folgten und sich dadurch freikaufen wollten. Er wollte nicht in erster Linie kirchenpolitisch agieren, es ging ihm um das Wohl des Einzelnen. „Seelsorge ist kein Teilaspekt sondern eine Grunddimension in Martin Luthers Leben und Wirken“, schreibt Christian Möller.

Er war ein in seinem Leben nach der Frage des Heils getriebener Mensch. Wie finde ich einen gnädigen Gott? Dieses, sein persönliches Anliegen war die Motivation seiner Suche in der Bibel. Was er entdeckte, wollte er allen Menschen zugänglich machen. Nämlich, dass dieser Gott, der Gott der Liebe und der Gnade ist. „Da zeigte mir sogleich auch die ganze heilige Schrift ein anderes Gesicht“, fasste er seine Erkenntnis, die er im Turmzimmer in Wittenberg gehabt haben soll, zusammen. Der Heilige Geist hatte ihm das neue Verständnis der Schrift gegeben. Die reformatorische Wende war eingeleitet. Luther empfand sein Erlebnis selbst als große Befreiung. 


In der Meditation des Bibelvers Röm 1,17 entdeckte Marin Luther, wonach er seit langem vergeblich gesucht hatte: „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche aus dem Glauben kommt und zum Glauben führt; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben.“

Dieser Bibelvers führte zu seinem Schriftverständnis: Gottes Gerechtigkeit ist ein Geschenk, das dem Menschen durch den Glauben an Jesus Christus gegeben wird. Keine Leistung, kein Können kann dieses Geschenk erzwingen. Die mittelalterliche Theologie mit ihrer Balance zwischen menschlichen Fähigkeiten und göttlicher Offenbarung war für ihn zerbrochen. Die Kirche verlor die Funktion der Vermittlung von Gnade Gottes an den Menschen. Einen gnädigen Gott konnte man sich durch keinen Ablassbrief erkaufen. In der Römerbrief-Vorlesung von 1515 formulierte Luther in Anfängen sein Verständnis der Rechtfertigung allein aus Gnade. Die gepeinigte, verängstige Seele war Luthers Anliegen, mit dem er in die große Kirchenpolitik geriet.

In den über 3000 Briefen, die wir von Luther kennen, zeigte er sich als zugewandter Seelsorger, der für den Einzelnen den richtigen Ton traf. Ging er gegenüber den Anliegen von Friedrich dem Weisen den Kurfürsten energisch vor, weil er wusste, dass er ihm auf diese Weise helfen konnte, war er dem Bischof Albrecht von Mainz gegenüber eher freundlich anmahnend, aber auch bis hin zu einem drohenden Unterton reichte sein Repertoire. Als der Kurfürst krank wurde und sich lebensmüde zeigte, wurde Luther um Rat gebeten. Luther tröstete und holte den Kurfürsten bei seiner Frömmigkeit ab, wollte dann aber mit ihm ein „neue, geistliches Sehen“ einüben, er lenkte den Blick auf Jesus an Kreuz und seine Leiden. Im Blick auf ihn, sollte sich ein „Durchsehen“ über Krankheit und Tod hinaus zu Gott einstellen. Das lebensmüde Betrachten der eigenen schweren Krankheit, dieser Anschauung sollte er abschwören, weil dem Widersacher Gottes dadurch in die Hände gespielt würde. Die Wahrheit der Auferstehung sollte durch die Gebrochenheit des eigenen Daseins hindurch erkannt werden. Trösten war für Martin Luther ein Geschehen, das eine Auseinandersetzung bedeutete, die zwischen Gott und widergöttlichen Mächten stattfand, mit dem Menschen im Mittelpunkt.


Das spezielle an Luthers Seelsorge möchte Christian Möller für die heutige Zeit wiederentdecken. „Ob eine Wiederentdeckung des – in einem umfassenden und scharfen Sinne – tröstlichen Charakters der Seelsorge durch eine Erinnerung an Luther Seelsorge möglich ist?“, fragt er. Viel ist gegen falschen Trost und Vertröstung sozusagen seit den Reden von Hiobs gewettert worden. Auch und gerade Bonhoeffer hat darauf hingewiesen, dass Trost nur von Gott kommen, sich ereignen kann. Billiger Menschentrost hat nichts mit dem Trost von Gott zu tun, der der menschlichen Trostlosigkeit widerspricht. In Luther Briefen an eine schwermütige Person wird deutlich, dass Trost nicht als rührselige Angelegenheit für weinerliche Personen missverstanden werden darf. Es ist eine Auseinandersetzung, für Luther ein Kampf, in dem es darum geht, den betroffenen Menschen von sich selbst und seinen um seine Person kreisenden Gedanken weg zu holen. Es geht ihm nicht um die Selbstbespiegelung der eigenen Gefühlslage, die die Schwermut evtl. vertieft. „Trösten im reformatorischen Sinn heißt vielmehr, einem Menschen neuen Boden außerhalb seiner selbst zu geben, den Boden von Gottes Wort, der fest genug ist, damit ein Mensch nicht im Strudel seiner Gefühle untergeht, sondern hier zu Klarheit und zu den trotzigen Widerstandskräften kommt, die er braucht, um mit sich selbst und seinen Gefühlen neu umgehen zu können.“, argumentiert Christian Möller. Es geht um Zuversicht, um eine Perspektive, einen Ort außerhalb des eigenen Selbst, an dem der Mensch ein neues Verhältnis zu sich selbst entwickeln kann. Kräfte außerhalb seiner selbst soll der Mensch erfahren, die ihn nicht der Schwermut, der Grübelei und der Lebensmüdigkeit überlassen und Widerstand entwickeln. Das Vertrauen auf Gott, die Zuversicht wollte Luther stärken gegen die düsteren Kräfte des Teufels, die nach seiner Vorstellung hinabziehen. Gottes Möglichkeiten sind stärker als jede Verzweiflung, dazu ermutigte Luther. Durch das Sehen auf Jesus und seine Leiden, erscheint das das Himmelreich. Das ist eine biblisch fundierte Seelsorge, die Widerstand und Auflehnung stärken will und Mut zu bedingungslosen Glauben macht. Die Kraft kommt aus dem Blick auf Jesus Christus.


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